Wort an Wort - Banat, Siebenbürgen, Bukowina: ein Ethnografitti Südosteuropas

(Pressetext)
Grenzstationen, Begegnungen, Gesprächspartner*innen, Nachtzüge, Volkstümelei, Securitate, Umbruch, Exodus, Revolution 1989, Medien, Wechselstuben und - vor allem - fragmentierte gesellschaftliche Gruppen, Gedächtnislinien und Diskurse: Aus diesem Dickicht an Eindrücken einer ethnographischen Forschungsreise zu den deutschsprachigen Minderheiten Rumäniens und der Ukraine ist eine Ausstellung entstanden.

Mit dem Ziel, mehr über das Zusammenleben in multikulturellen Gesellschaftsgefügen zu erfahren, haben wir - 13 Studierende und drei Dozent*innen der Fächer Volkskunde und Rumänistik - in Rumänien und der Ukraine Kontakt zu Banater Schwaben, Siebenbürger Sachsen und Czernowitzer Deutschen jüdischen Glaubens aufgenommen. Trotz vielfältiger Bezüge zu Deutschland stellt die Region für große Teile der hiesigen Öffentlichkeit einen blinden Fleck dar. Wir wollten herausfinden, was sich dort über gesellschaftlichen Zusammenhalt noch lernen lässt und haben die spezifischen Signaturen des Miteinanders in Südosteuropa durch historische Rückbezüge aufbereitet, um unsere Eindrücke zu teilen und zum Nachdenken sowie zur Diskussion anzuregen. Was ist nach 1989 geblieben und wird noch gelebt von der Vielstimmigkeit der Region? Was hieß und heißt “deutsch“? Welche Mechanismen des (Ver-)Schweigens, Überwachens und Zensierens prägen die Kommunikation im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert? Kann ein geeintes Europa dreißig Jahre nach den Revolutionen aus den historischen Ereignissen und der aktuellen Situation etwas lernen?

In der Ausstellung kommen multimediale Installationen zum Einsatz, insbesondere Audioquellen, die von inhaltlich komplexen Interviews über Musik bis zu Straßengeräuschen reichen und Einblick in die Klangwelt des ethnografischen Projekts geben, sowie Fotos und Filmsequenzen. In der Ausstellung wird nicht jedes Zitat erklärt, nicht jede Frage beantwortet: Wirklichkeit bringt stets einen Überschuss an Komplexität mit sich, die auch verwirren darf. Zugleich nähert sich das Projekt größeren Thematiken gezielt an: So geht es um das Nation-Building in Staaten, die sich aus vielen Minderheiten zusammensetzen; die Traumalinien „der Deutschen“ in Südosteuropa im 20. Jahrhundert von Deportation über Umsiedlung bis zum Ausverkauf und der Auswanderung aus angestammten Heimaten; und dann, im alltäglichen, die vielen „feinen Unterschiede“ zwischen sozialen und kulturellen Gruppen. Darüber hinaus ist es uns wichtig, die ethnographische Arbeit transparent und verständlich zu machen.

In den gewonnenen Quellen dokumentiert sich nicht bloß das Versinken eines multikulturellen Gefüges auf dem Boden zweier Nationalstaaten Europas, vor allem treten die gesellschaftlichen Herausforderungen in Zeiten von Europäischer Union und Globalisierung hervor: Die Atomisierung der Gesellschaft durch wirtschaftlichen Druck; die Abwanderung von Arbeitskräften sowie die neuen Warenströme und Handelsnetze durch die Europäische Union.

Das Ausstellungsprojekt bringt Deutungen historischer und gegenwärtiger Prozesse von kollektiver Identitätsbildung durch den Blick auf den Alltag und lokale Perspektiven nahe.

FRIEDRICH-SCHILLER-UNIVERSITÄT JENA
Ausstellungskabinett im Universitätshauptgebäude der Friedrich-Schiller-Universität Jena Fürstengraben 1
Raum 025 / barrierefrei
Eintritt frei!